Juni 2017 - von Manfred Stähli
Kein Jahr gleicht dem anderen in der
Stromproduktion aus Wasserkraft.
Massgeblich dafür verantwortlich sind die
vorherrschenden Wetterbedingungen, was in
der Diskussion über zukünftige
Produktionsziele oft vernachlässigt wird.
Dabei sind diese wetterbedingten
Schwankungen vielleicht die grössere
Herausforderung für die inländische
Stromerzeugung als die langfristige
Kapazitätssteigerung durch bestehende und
neue Wasserkraftwerke – insbesondere im
Winter.
Im Vorfeld der Abstimmung zur
Energiestrategie 2050 wurde viel diskutiert,
was uns die geplante Energiewende pro Jahr
kosten werde. Sind es 40 oder 3‘200 Franken
pro Haushalt? Dabei wurde nur selten
erwähnt, dass unsere Ausgaben für Strom und
Heizmittel von Jahr zu Jahr stark variieren.
Ich habe kürzlich im Keller ein kleines Heft
der früheren Hauseigentümer gefunden, wo
fein säuberlich dokumentiert ist, wie viel
Heizöl pro Jahr geliefert wurde. Im Jahr
1984, einem der kältesten Jahre des
vergangenen Jahrhunderts, waren dies
beispielsweise 4‘750 Liter, und im Jahr 2003
mit Hitzesommer 3‘400 Liter. Bei den
heutigen Heizölpreisen entspricht dies einem
Unterschied von ca. 1‘200 CHF. Diese
jährlichen Schwankungen werden massgeblich
durch das Wetter verursacht. Ein kalter
Winter erfordert mehr Heizöl. Aber auch der
winterliche Stromverbrauch im Haushalt nimmt
mit der Kälte deutlich zu, unter anderem
aufgrund des erhöhten Strombedarfs von
Wärmepumpenheizungen.
Genauso wetterabhängig ist unsere inländische Stromproduktion aus Wasserkraft. Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) berichtet, dass im Jahr 2015 insgesamt 37.2 TWh produziert wurden, während es im folgenden Jahr nur 33.4 TWh waren.
Zum Glück gibt es in der Regel keine Jahre mit überdurchschnittlichem Strombedarf und gleichzeitig geringer Wasserkraftproduktion. Das hängt beispielsweise mit niederschlagsarmen aber heissen Sommern zusammen, in welchen die Gletscherschmelze hohe Abflüsse liefert und so die Stromproduktion ausgleicht. Aber wie wird es in ein paar Jahrzehnten aussehen, wenn sich die Gletscherfläche in der Schweiz drastisch verringert haben wird? Eine aktuelle Studie der Internationalen Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes zeigt auf, dass mit dem aktuellen Gletschervorkommen in einem heissen Sommer wie 2003 der Abfluss bei Basel zu einem Drittel aus Gletscherschmelze besteht. Dieses Wasser wird Ende dieses Jahrhunderts grösstenteils fehlen, was sich auf die Stromproduktion unserer Laufwasserkraftwerke im Spätsommer deutlich auswirken wird. Möglicherweise ist das aber gar kein so grosses Problem, weil bis dann der Zubau von Solaranlagen die entsprechende Stromlücke kompensieren wird.
Interessanter ist die Frage, wie sich die
Winterproduktion unserer Wasserkraftwerke mit dem
Klimawandel ändern wird, wenn die tiefstehende Sonne nur
eine eingeschränkte Solarstromproduktion zulässt. Eine
aktuelle Masterarbeit an der Universität Innsbruck kommt
zum Schluss, dass in mittleren und grösseren
Fliessgewässern, wie beispielsweise der Reuss, Thur oder
Kleinen Emme, die Abflüsse von Dezember bis Februar im
Vergleich zu heute um durchschnittlich 10 bis 20 Prozent
zunehmen dürften. Grund dafür sind höhere
Lufttemperaturen, weshalb häufiger mit Regen anstatt
Schnee zu rechnen sein wird. Die Unterschiede von Jahr
zu Jahr sind aber grösser als diese mittlere Zunahme;
das heisst, nicht in jedem Winter ist eine höhere
Stromproduktion in diesen Fliessgewässern garantiert.
Kommt hinzu, dass bei diesen Berechnungen eine grosse
Unsicherheit besteht, wie sich die Niederschlagsmengen
im Winter aufgrund des Klimawandels verändern werden.
Die letzten Schweizer Szenarien zur Klimaänderung von 2011
haben diesbezüglich keine klaren Aussagen gemacht. In
der Zwischenzeit sind sie aber mit über 20 Kombinationen
von globalen und regionalen Klimamodellen neu berechnet
worden und stehen per Ende Jahr für unsere
hydrologischen Modelle zur Verfügung. Ich bin gespannt,
ob sich die Aussagen für den Winterniederschlag im
Vergleich zu 2011 konkretisieren lassen.
Entscheidend für die Stromproduktion im Winter wird auch
sein, wie es bezüglich des Zubaus von neuen Speicherseen
weitergeht. In dieser Diskussion stehen alpine Gebiete
im Fokus, wo sich die Gletscher zurückziehen und dadurch
neue Seen entstehen (mehr dazu erfahren Sie im letzten
Abschnitt
dieses Blog-Beitrags). Eine laufende Studie im Rahmen des SCCER-SoE zeigt
auf, dass bereits eine relativ geringe Anzahl solcher
neuer Speicherseen eine zusätzliche Stromproduktion von
2 bis 3 TWh ermöglichen würde, was auf das
Winterhalbjahr gerechnet einer Erhöhung um 15 bis 20
Prozent entspricht. Diese Hochrechnung ist allerdings
theoretisch und macht keine Aussagen bezüglich
ökologischer Auswirkungen, Sicherheit oder
gesellschaftlicher Akzeptanz. Schlussendlich wirft die
Machbarkeit solcher neuen Speicherseen nicht nur
technisch-naturwissenschaftliche Fragen auf, sondern im
höchsten Grade auch gesellschaftliche und ökonomische.
Ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Forschung also,
welche nur im Forschungsverbund Antworten erarbeiten
kann.
Kurzfristige und saisonale wetterbedingte Schwankungen bleiben für die Strombereitstellung eine zentrale Herausforderung. Es ist von grosser Wichtigkeit, dass die Wasserkraft mit erhöhter Produktionsflexibilität noch mehr zur Bewältigung beiträgt als in der Vergangenheit – im Einklang mit der Ökologie. Daran arbeiten wir.
Dr. Manfred Stähli ist der Leiter der Forschungseinheit Gebirgshydrologie und Massenbewegungen an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Zudem leitet er den Task 2.1 des SCCER-SoE.